Warten auf Godot no comments
WARTEN AUF GODOT
Regie : Rolf Kasteleiner
Eine deutsch-französische Co-Produktion gefördert von:
ADAMI, ARCADI, Hauptstadtkulturfonds Berlin, Fonds Darstellende Künste
Warten auf Godot schließt sich an den Kurzfilm HERE TO SEE an und bildet den dritten Teil der Triologie GODOT C’EST MOI , die mit der Verbindung von Gebärdensprache und Theater/Tanz neue Formen der Darstellung erkundet.
Der letzte Teil der Triologie geht aus dem Tanzmonolog LUCKY hervor, der im November 2003 in der Galerie Artcore in Paris vorgestellt wurde.
Die Bühne ist ein Warteraum. Sie bildet einen abstrakten und sterilen Raum, der sich mit dem Zuschauerraum verbindet und aus dem das Publikum und die Performer wartend hinausschauen. Eine LED-Anzeige lässt den Text als ein endloses Sprachband parallel zum Bühnengeschehen ablaufen. Außerhalb des Warteraums sitzen Lucky und Pozzo an einem Pult und sprechen den Text von Wladimir und Estragon begleitend über Mikrophone. Sobald sie auf der Bühne als reale Figuren erscheinen, beginnen sie ebenfalls, zu gebärden.
Der Text läuft auf der LED-Anzeige zeitgleich zur Aktion pausenlos mit.
Alle Performer sind ständig im Raum anwesend, sogar der Junge sitzt neben dem Container und wartet auf seinen Einsatz.
Inszenierung
Im Fokus der Inszenierung steht Becketts Sprache. Sie wird durch die Gebärdensprache
körperlich verdeutlicht. Becketts Stil zeichnet sich durch eine unaufhaltsame Sprachverkettung aus, in der scheinbar sinnlose Repliken auf Anschluss aneinander gereiht werden. Der so enstehende, meist äußerst dichte Rhytmus wird in der unendlichen Abfolge der Worte auf dem LED-Laufband sichtbar.
Sprache wird auf diese Art und Weise in einer dekonstruktionistischen Weise obsolet.
Sie kreist um sich selbst und verweist selbst jeweils immer nur auf die anderen Ebenen der sprachlichen Darstellung, statt auf das, was sie zum Ausdruck bringen sollte.
Das Spiel mit der Zuordnung der Sprechakte wird noch zusätzlich verstärkt, indem Lucky und Pozzo das andere Paar als „Erzähler“ mitsprechen und dann wieder als eigenes Paar real auf der Bühne erscheinen. Der Text wechselt somit gleichzeitig zwischen den Figuren, sowie zwischen epischer Erzählung und dramatischer Darstellung hin und her. Als Intertext behält er, unabhängig von der körperlichen Dekonstruktion auf der Bühne, seine Kraft.
Die Bühne wird von Klängen in Schwingung versetzt, deren Frequenzbereich im kaum hörbaren Bereich liegen. Sie verwandelt sich in einen Klangkörper.
Die Vibration fügt sich als Tonspur mit dem Bühnengeschehen und der Sprache zu einem Ganzen: Sie ist ein physisch-sensorischen Erlebnis, das ein irritierendes Grundgefühl der Bedrohung und räumlichen Schwere erzeugt. Gerade diese Schwerkraft ist für die psychische Situation der wartenden Figuren Becketts unerlässlich.
Als Nebeneffekt kann der Zuschauer in die Situation der Gehörlosen eintauchen und einen Einblick in ihre Welt erhalten.
Das Verständnis der Gebärdensprache wird durch die gleichbleibende Grundsituation und die vielen Wiederholungen von Textpassagen erleichtert. Auch durch die zusätzliche Unterstützung der LED-Anzeige und des eingelesenen Texts kann und soll der Zuschauer in die Gebärdensprache einsteigen. Außerdem bekommt er am Einlass ein Programm mit den für das Stück wichtigsten Gebärden wie z.B. „Wir warten auf Godot“ oder „Komm, wir gehen!“.
Das Stück ist Performance: der Zustand des Wartens und die Sprache Becketts bekommen durch die Gebärdensprache eine andere Körperlichkeit, die dem Tanz sehr verwandt ist.
Bereits im ersten Teil der Triologie, der Tanzperformance Here to see, wurde dieses dramaturgische Prinzip des Sprachverlusts als Ausgangspunkt verwandt.
Die Sprache Becketts und die Gebärdensprache
„Das ist nicht meine Sprache. Ich benutze lediglich die Sprache der Leute, deren Meinung ich nicht teile.“ (James Joyces „Der Verbannte“)
Beckett verwendet Sprache als Medium, das Verhalten wiedergibt, vor allem aber steuert, indem es das Denken präformiert. Die Sprache stösst bei Beckett als Mittel der Beschreibung und Erkenntnis auf ihre Grenzen. Seine Figuren sind oftmals sprachlos, ohnmächtig gegenüber einer Welt, die sie nicht mehr bezeichnen und fassen können.
Die nach Becketts Reduktion übrig bleibende Sprache ist unmittelbar, sie funktioniert wesentlich als Rythmus, der insbesondere vom umgebenden Schweigen strukturiert wird. Dieses Schweigen ist immer eine Fortsetzung der sprachlichen Handlung; es ist oftmals Ein-Rede, die an keinen Empfänger gerichtet wird.
Becketts Mißtrauen in die Sprache, die für ihn nur unmittelbar während des Sprechens existiert, verbindet sich mit dem Mißtrauen der Gehörlosen in unsere Sprache. Diese Sprache ist für sie nicht begreifbar, sogar nicht-existent, da sie vom mündlichen Wort kommt. Die Gebärdensprache eröffnet die einmalige Möglichkeit, die Sprache Becketts so darzustellen, daß sie wirklich nur im Augenblick des Spiels entsteht.
Durch die größere Authentizität dieser Sprachform kann das Spiel zu einem extremen Punkt der Klarheit gesteigert werden: Das Geschehen wird auf das essentiell Exentielle zurückgeführt.
Die Gebärdensprache stellt mit der ihr eigenen Körperlichkeit den Gebrauch der gesprochenen und geschriebenen Sprache grundsätzlich in Frage.
In der Performance wird der Text durchgehend in Gebärdensprache übersetzt und parallel in französischer Laut, sowie deutscher Schriftsprache dargestellt. Auf diese Weise wird die Frage nach einem inneren Kern der Sprache aufgeworfen.
Der Text wird permanent übersetzt; diese Transformationskette erfährt ihren Höhepunkt schließlich im Tanzmonolog von Lucky. Hier wird das Medium einer anderen, noch körperlicheren Sprache nur in ihrer situativen Einbindung und Bedingtheit lesbar. Nur dieses eine Mal steht eine Sprachform für sich. Der Körper wird hier konsequent gegen die Leere und Beliebigkeit der gesprochenen Sprache eingesetzt.
Wichtig ist das Nebeneinander der unterschiedlichen Darstellungsebenen des Textes, die es dem Zuschauer möglich macht, sich wieder und wieder neu zu entscheiden, welcher er seine Aufmerksamkeit widmet.
Die Gebärdensprache zeigt den Zustand einer innerlichen Abkapselung gegenüber einer zunehmend sinnentleerten äußeren Welt des oralen Sprechens, in der die Zeichen als Signifkate nur noch auf andere Signifikate verweisen und sich so längst ihrer Inhalte beraubt haben. Wladimir und Estragon befinden sich gleichsam in einem Zustand der innerlichen Isolation und Stagnation. Sie warten in einem leeren Raum des Dazwischenseins, der für sie mit den Mitteln der Sprache nicht mehr beschreibbar ist.
Warum Gebärdensprache auf der Bühne
Die Gebärdensprache ermöglicht es, Stücke neu zu entdecken und mit den einhergehenden Blickwinkeln, das zeitgenössische Theater und den zeitgenössischen Tanz neu zu verorten. Hierbei treffen sich hörende Schauspieler mit gehörlosen Schauspielern und Tänzer. Diese Konfrontation führt zu immer wieder überraschenden Schnittpunkten großer Intensität und zu einer durchdringenden Verbundenheit, aus der sich der schöpferische Prozeß speißt.
Es wird klar, wie sehr Identität und Sprache voneinander abhängen.
Texte und herkömmliche Arbeitsweisen werden so wieder in Frage gestellt; die verwendeten Sprachformen erneuern sich im Austausch der Sprechakte.
Der Zuschauer nimmt an einem existentiellen Diskurs teil, der mit den Gebärden als Zeichen des Körpers geführt wird.
Diese Gebärden kommen uns vertraut vor, sind uns in ihrer Bedeutung im Einzelnen aber fremd. Sie bilden eine mythisch anmutende Sprache, die der heute zunehmend abstrakteren Welt der Zeichen noch zugrunde liegt. Wir haben sie vor langer Zeit verlernt und längst verdrängt.
Die Überwindung dieses zunehmenden Sprachverlusts und die Freilegung einer direkteren, unmittelbareren Sprache sind wesentliche Anliegen dieses Projekts.
Pressespiegel
TAZ, DIE TASGESZEITUNG – 03.12.04
„Warten bis zum Sprachverlust
Was Passiert, wenn man dem Theater das hören entzieht? In Rolf Kasteleiners Inszenierung von Beckett in Gebärdensprache, von der deutsch-französischen Compagnie LA PAROLE AUX MAINS im Tacheles gezeigt, ziemlich viel.
…und das ist gut so. Erscheint Becketts zynische Sprache als ein Zugehen auf das Verstummen, so lässt sich diese moderne Kommunikationsskepsis wohl kaum besser darstellen als durch die Gebärdensprache…
…Beckett kombiniert die quälende Erfahrung des endlosen Wartens mit der Leere phrasenhafter Dialoge, die nun in Kasteleiners Arbeit eine ganz neue Anschaulichkeit gewinnen: Paradoxerweise scheint „Warten auf Godot“ hier gerade dadurch verständlicher zu werden, dass es weniger gesprochen als vielmehr gespielt wird. Der Zuschauer selbst wird dabei in die Welt der Gehörlosen versetzt: Sein Zeitgefühl wandelt sich. Die Momente scheinen sich nun auch für ihn zu dehnen. Er beginnt also im gewissermaßen, mit auf Godot zu warten…..
…phrasenweise durchdröhnen tieftönige, wummernde Frequenzschwingungen den Saal und machen den gesamten Schauplatz zum Klangkörper. Am eindruckvollsten gelingt dies im spektakulären Zentrum der Inszenierung, Luckys wildem Tanzsolo. Hier transformiert sich abermals der zeitliche Takt: Immer chaotischere Buchstabensalate zucken mit wachsender Geschwindigkeit über die Betonwände der Halle, während Lucky die Abstraktion seines Stückmonologs in ekstatische Körperbewegungen übersetzt. Das sind Momente, in denen es der Inszenierung fast gelingt, den Wahnsinn zur Realität zu machen. Man sollte sie nicht verpassen.“
NEUES DEUTSCHLAND – 01.12.04
„Warten auf Godot“ verwebt Sprache und Handlung
Ein vielschichtiges Theaterprojekt ist diese „Warten auf Godot“-Inszenierung von Rolf Kasteleiner im Tacheles. Es verwebt auf eine bislang nie gesehene Art Sprach- und Handlungsebenen…..“
BERLINER MORGENPOST – 28.11.04
„…Tatsächlich erwartet den Hörenden die geballte Sprach-Polyphonie: Wladimir und Estragon (gespielt von den gehörlosen Schauspielern Olivier Schetrit und Bachir Saifi) werden von Pozzo und Lucky (Christoph Dufour und Gil Grillo) auf französisch synchronisiert, solange sie nicht selbst auf der Bühne in Gebärdensprache agieren. Gleichzeitig läuft der deutsche Text in einer LED Anzeige als endloses Sprachband mit. …die Gebärdensprache tritt aus dem Schrift-Schatten. Im Tanzmonolog Luckys rast sie in den wirbelnden Körper: er wir ein Gedicht….“
PARIS-BERLIN – 04.05
„In Realität, diese Adaption ist die konsequente Folge der Reflexion Becketts (…) und reißt den Zuschauer in einen Strudel der Gebärdensprache der ihn vergessen lässt, dass er zuvor überzeugt war, nichts zu verstehen.“
LA REPUBLICA – 18.02.06
„Ein essentieller Beckett in Gebärdensprache. Eine geniale Idee: Die Reduktion der Sprache Becketts – für sich schon wesentlich – auf die Gebärdensprache, die Gesten. Das hier ist vielleicht die definitive Metapher, welche die Nichtausdrückbarkeit künstlich herstellt (…) L’oeuvre, eisig weiß, hat eine starke visuelle Anziehungskraft“ “
IL MANIFESTO, 19:02.06
„Zu Becketts Hundertstem kommt die Kuriosität aus Frankreich, von der Pariser Kompanie, deutsch beeinflusst, lapama die Godot stumm präsentiert, extrem, radikal, gespielt mit den Fingern, durch ihre Verschiebung im Raum (…) Der Regissuer Rolf Kasteleiner (geborener Stern europäischer Bühnen, schon zur Seite von Bob Wilson und Thomas Ostermeier) (…) ist auf der Suche nach einem Beckett mit einer direkten Sprache die die Sprache überholt.“
Team
Regie : Rolf Kasteleiner
Assistent : David Gierten
Mit : Bachir Saïfi, Olivier Schetrit, Gil Grillo, Christophe Dufour, Hrysto
Dramaturgie : Jonas Zipf
Scenographie und Kostüme : Rena Donsbach
Video : Christoph Oertli
Musik : David Gierten
Körpertraining : Benoît Lachambre, Carole Bonneau
Administration : Céline Chocat
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